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Erfahrungsbericht eines NLLV-Kollegen

Masken, Mebis und Notgruppe - Schule in der Corona-Zeit

In der ersten Woche nach den Osterferien komme ich zurück in die Schule. Ein seltsames Gefühl, ich habe das Gebäude so lange nicht gesehen wie normal nur in den Sommerferien. Von den wenigen Menschen, die ich antreffe, tragen nicht alle Masken. Wir sprechen über neue Prüfungstermine und unter welchen Auflagen wir die Abschlussprüfungen durchführen könnten. Innerhalb von drei Tagen müssen alle im Haus gestellten Prüfungen überarbeitet und angepasst und auch die Räumlichkeiten nach den Gesundheitsschutz-Vorschriften umgebaut werden.

Glücklicherweise habe ich die unterrichtsfreie Zeit der Ferien genutzt, meine digitalen Kurse weiter zu entwickeln und vorzubereiten, so dass ich während dieser Tage „nur“ eingereichte Aufgaben kontrollieren und schriftlich individuelle Beratung zukommen lassen muss.

Zu dieser Zeit bin ich nicht sehr glücklich. Zwar konnte ich dank meiner privaten Geräte und Ausstattung zusätzlich zu E-Mails einen Videounterricht anbieten, doch längst nicht alle meiner Lernenden hatten die technischen Möglichkeiten auch daran teilzunehmen. Ich hatte meine Wochen zuhause am Schreibtisch verbracht, die meiste Zeit davon mit Korrekturen und dem Umstellen der Unterrichtseinheiten auf ein aus dem Boden gestampftes e-learning-Konzept. Die einzige Hilfestellung des Staats – die Onlineplattform Mebis – ließ mich immer noch jeden Morgen mit einem Timeout zuverlässig im Stich. Zu diesem Zeitpunkt verwende ich privat angeschaffte Software und kostenfreie online-Angebote – wohl wissend, dass nicht alles der DSGVO entspricht und gut darüber informiert, dass ich im Zweifel allein mit etwaigen rechtlichen Folgen gelassen werde.

Dann stehe ich also in meiner Werkstatt und fange an, das Mobiliar zu verrücken. Das neue Höchstlimit sind nun 5 Lernende – in einem Raum, der für 12 eingerichtet ist und normalerweise mit bis zu 16 Lernenden bestückt wird. Gerade mal 2 Werkbänke habe ich vor die Tür gestellt und die restlichen so verteilt, dass nun jeder Lernende einen eigenen Arbeitsplatz hat.

Ganz so, wie im echten Leben, denke ich mir. Normal teilen sich bis zu 4 Lernende eine Gruppenwerkbank, an der eben 4 Schraubstöcke befestigt sind. Jetzt hätte ich gerne fahrbare Rollcontainer mit eigenen Werkzeugsätzen, so wie es in Betrieben üblich ist. Stattdessen verbringe ich viel Zeit, Werkzeuge zu desinfizieren und zu den einzelnen Arbeitsplätzen zu tragen – an dem zentralen Regal zum Lagern der Werkzeuge könnten sich Lernende ja zu nahekommen, das möchte ich vermeiden.

Als ich fertig mit dem Umbau und dem neune Konzept bin, merke ich, dass mir Corona gut gefällt: Solche Bedingungen konnte ich Lernenden noch nie bieten: Jeder einen eigenen Arbeitsplatz, eigenes Werkzeug, Zugang zu eigenen Maschinen. Wäre nicht der drohende Schatten der Pandemie über allem gehangen, ich hätte es mir nicht besser wünschen können.

Dann kommen die Schüler*innen zurück. Vor dem Haus an einem Sammelpunkt abgeholt (finde ich voll schön!) öffne ich ihnen die Türe und wir gehen mit Masken und im Gänsemarsch durch die abgeklebten Flure. Überall hängen Schilder, die an das Hygienekonzept erinnern. Die Lernenden haben jeden Tag eigene Handtücher dabei, denn wir wissen ja auch dank der Presse alle, wie es um die sanitären Anlagen in Schulhäusern bestellt ist.

In den Klassenzimmern sind Parzellen abgeklebt und die Kinder sitzen isoliert unter ihren Masken. Erwartungsvolle Blicke, ängstliche Blicke, unsichere Blicke richten sich auf mich. Mir fällt auf, dass mein Lächeln unter der Maske wahrscheinlich nur schwer zu erkennen ist. Die meisten Lernenden habe ich nun 6 Wochen lang nicht gesehen und ich muss daran denken, wie wir nach den Sommerferien alle immer eine Weile brauchen, bis die Lernenden sich wieder an das Tempo, die Regeln, das Lernen und Arbeiten gewöhnt haben. Diese Zeit wird ihnen nun verwehrt.

Gerade mal 90 Minuten lang haben wir Zeit, über den neuen Ablauf der Prüfung zu sprechen und Fragen zu klären. Längst nicht alle haben zuhause an den Aufgaben gearbeitet. Vor mir sitzt eine Schülerin, die auf viele meiner Mails geantwortet, jedoch wenige bearbeitete Aufgaben eingesendet hat.

„Lieber Herr XXX,

Tut mir leid dass ich am Meeting nicht teilnehmen konnte. Allerdings bin ich zurzeit bei meinem Onkel um ihn mit seinen Kindern zu helfen.

Ich hoffe sie können mir verzeihen Liebe Grüße
XXX“,

schrieb sie mir in der Woche vor Ostern. Wie stark unsere Kinder in dieser Zeit sein müssen! Ich war und bin immer noch beeindruckt, wie vernünftig und verantwortungsvoll sie mit ihrem Leben umgehen. Alle arbeiten neben ihren anderen Lebensinhalten und unter ihren jeweiligen Umständen so gut es eben geht, müssen ungewohnte Entscheidungen treffen und mit der sich täglich ändernden Situation klarkommen. Nicht jedem fällt das leicht und in den erwähnten 90 Minuten versuche ich, alle einzusammeln und ihnen trotz der vergangenen 6 Wochen Mut und Zuversicht für die kommende Prüfung zu vermitteln.

Heute, wieder 6 Wochen ein weiteres Mal Ferien später, entlasse ich die 5 Lernenden der 5. Klasse aus meiner Werkstatt. Sie sind, so wie die vorherigen Tage auch, freiwillig und gerne länger in der Schule geblieben, um an dem Ganztagsangebot teilzunehmen. Nebenan geschieht das Gleiche im zweiten Werkraum. Es ist Freitag, 13 Uhr – normal schließen wir den Unterricht freitags um 12:15 Uhr. Niemand bemerkt, dass wir heute länger zusammen sind. Ich bin sehr glücklich.

In den wenigen Stunden, die wir gemeinsam verbracht haben, hat jeder Lernende unglaubliche Fortschritte erzielt. Ich habe für jeden Zeit, kann individuell helfen, beraten und nochmal erklären, dabeibleiben, bis der Umgang mit dem Werkzeug wirklich sitzt, Ergebnisse begutachten und bewundern und nebenbei haben wir sogar Zeit, uns zu unterhalten und besser kennen zu lernen.

Trotzdem erzielen die Lernenden zuverlässig und durchwegs bessere Ergebnisse als unter normalen Umständen. Alle sind voller Lust und Eifer bei der Arbeit. Natürlich trägt auch heute noch jeder eine Maske und hat ein eigenes Handtuch dabei, aber das ist ja schon normal geworden. Nach dem Aufräumen und Desinfizieren verlasse das Haus in Richtung Wochenende und träume von einem Land, in dem Bildung und Erziehung einen wirklichen Stellenwert haben und genug personelle wie materielle Ressourcen vorhanden sind um die hoch gesteckten Ziele auch erreichen zu können. Kurz überlege ich, wie lange meinen Lernenden diese ungewohnt gewogenen Zustände wohl erhalten bleiben mögen. Die Sonne scheint.

N.N.